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Tier- und Umweltschutz mit Augenmaß und Verstand

Über die Rechtslage rund um das Tierschutzgesetz, auch verbunden mit der Frage über die Rechtmäßigkeit von Eingriffen an Tieren referierte Dr. Julia Stubenbord.

Sie gab auf einer Veranstaltung der Jungen DLG/Team Nürtingen zunächst einen kurzen Überblick über die Historie des Tierschutzes, der sich seit seiner gesetzlichen Ersterwähnung in England im Jahre 1822 immer mehr von einem anthropozentrischen, „ästhetischen“ zu einem ethischen Ansatz entwickelt hat.

Besonders in Deutschland wird seit 1972 im Tierschutzgesetz die Verantwortung des Menschen für das Tier als "Mitgeschöpf" erwähnt. Ferner wurde im Jahr 2002 Tierschutz ins Grundgesetz als sechstes Staatsziel im Artikel 20a aufgenommen. Bezüglich der Eingriffe an Tieren, wie Amputationen und Gewebezerstörung, welche im Wesentlichen in den Paragraphen 5 & 6 des Tierschutzgesetzes geregelt sind, gilt es im Einzelfall eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durchzuführen. Dabei sind die Grundrechte der Halter sowie die Integrität und das Wohlbefinden der Tiere zu beachten.

Im Wesentlichen bedeute dies, dass Tiere grundsätzlich nicht an die Haltung angepasst werden dürfen, sondern umgekehrt, die Haltung muss den Bedürfnissen der Tiere entsprechen. Stubenbord hielt fest, dass es also etliche Baustellen in der Tierhaltung gibt und dass insbesondere die Schweinehaltung problematisch sei. Durch eine Reihe zootechnischer Maßnahmen, unter unzureichender Schmerzausschaltung, bestehe hier dringender Handlungsbedarf.

Eine sehr praktische und programmatische Sichtweise, besonders für den Bereich der Schweinehaltung, gab Rudolf Wiedmann. Im Verlauf seines Vortrages zeigte Wiedmann praktische Ansätze, die Schweinehaltung zu verbessern.

Zu erwähnen sei hier insbesondere das Stallbaukonzept „Pig-Port 5“, das sich dadurch auszeichnet, den Bedürfnissen der Schweine gerecht zu werden. Solche Bedürfnisse seien beispielsweise eine überschaubare Gruppengröße, strukturierte Ställe mit Platz für getrennte Kot-, Beschäftigungs- und Ruheflächen etc.

Laut Wiedmann sollen die Schweine als „Baumeister“ bei der Planung eines Stalls im Mittelpunkt stehen und nicht die Arbeits- oder Kapitalproduktivität. Daher sieht er auch in der aktuellen Nutztierhaltungsverordnung große Defizite.

Für die Zukunft sieht er allerdings durchaus perspektivreiche Möglichkeiten für die Schweinehaltung, da es bereits tierschutzgerechte Haltungssysteme gibt, die sich immer mehr etablieren werden. Das setzt allerdings voraus, dass Umweltschutzziele nicht den Tierschutz aushebeln dürfen. Hier sei es Aufgabe der Politik mit Augenmaß und Verstand abzuwägen.

Ist den deutschen Konsumenten der Tierschutz etwas wert? Dieser Frage und der Rolle des Einzelhandels ging Dr. Clemens Dirscherl in seinem Vortrag auf den Grund. Dirscherl ist bei Kaufland-Fleischwaren zuständig für Tierwohl und Nachhaltigkeit. Er betonte, dass die Wertigkeit beziehungsweise das Wertverständnis für den Tierschutz in hohem Maße eine kulturelle Frage sei.

Als Akteur in einem international aktiven Unternehmen müsse man feststellen, dass die Präferenzen der Kunden je nach Land sehr unterschiedlich sein können. Dies würde man bereits innerhalb der Grenzen Europas wahrnehmen. Aber auch in Deutschland gab es im Verlauf der letzten Jahre beziehungsweise Jahrzehnte einen massiven Wertewandel bezüglich der Thematik.

So waren die Verbrauchererwartungen in den 1950er Jahren von Hungererfahrungen geprägt, wohingegen die heutigen Trends durch moralische sowie gesundheitsbezogene Interessen in Richtung Labeling und Zertifizierung von Nahrungsmitteln gingen. Auch die zitierte Nestlé-Konsumentenstudie aus dem Jahr 2016 unterstrich die Tendenz der steigenden Bereitschaft der Konsumenten, mehr zu zahlen für gute Qualität.

Dennoch hätten sich sowohl die Landwirtschaft als auch der Handel zwischen zwei verschiedenen „Wahrnehmungswelten“ der Kunden zu positionieren. Dies sei zum einen die „materielle“ Wahrnehmung, deren Eindrücke mit Profit assoziiert werden. Zum anderen steht dem die „ideelle“ Wahrnehmung gegenüber, deren Eindrücke mit geistig-kulturellen Werten assoziiert werden. Welche der beiden Wahrnehmungen für die Meinungsbildung beziehungsweise eine Kaufentscheidung ausschlaggebend sind, wird demzufolge durch die ethische Gesinnung der Gesellschaft vorgegeben.

Dirscherl plädierte an dieser Stelle dafür, mehr und mehr zu einer Verantwortungsethik zu gelangen, die realistische Lösungsansätze durch rationale Abwägungen fokussiert. Nicht zu selten würden sich die Medien an den Themen Tierhaltung und Fleischkonsum bedienen und ethische Ansätze für die Skandalisierung von Missständen instrumentalisieren. Häufig würden dadurch ideelle und polarisierende, gesinnungsethische Ansätze in der Gesellschaft verbreitet und entwickeln ein enormes Konfliktpotenzial.

Nichtsdestotrotz herrsche an der Ladentheke eine gewisse Verbraucherschizophrenie, aufgrund derer das tatsächliche Konsumverhalten die hohen Ansprüche an die Tierhaltung und den Fleischkonsum relativiert.

Welche Rolle soll und kann in diesem Geflecht von Interessen nun die Landwirtschaft spielen? Hat die heimische Produktion überhaupt noch eine Chance kostendeckend zu produzieren, bei gleichzeitiger Erfüllung der hohen Erwartungen? Wie positionieren sich die Landwirte selbst in der Tierwohldiskussion?

Dies und noch einiges mehr versuchte Hans-Benno Wichert, Vizepräsident des Landesbauernverbandes Baden-Württemberg e.V. zu erörtern. Dazu müsse laut Wichert zunächst geklärt werden, mit welcher Interessengruppe man über die Thematik diskutiert. Grundsätzlich verstehe ein Wissenschaftler etwas anderes unter Tierwohl, als beispielsweise ein Politiker, Tierschützer oder Verbraucher. Der Landwirt allerdings sei von allen abhängig.

Klar sei, dass die ökonomischen Interessen eines Landwirtes nicht vernachlässigt werden dürften. Denn Nachhaltigkeit funktioniere nur unter Einbeziehung der Ökonomie. Nicht ohne Grund würde Deutschland mehr und mehr zu einem reinen Schweinemastland. Immer mehr Betriebe importieren ihre Ferkel.

Dies sei einer der Gründe, weshalb die Schweinehaltung in Ländern mit niedrigeren Standards boomt. Da es in Deutschland immer noch Mode sei an Lebensmitteln zu sparen, ist es natürlich auch sehr problematisch, dass billige Importware immer verfügbar ist.

Der Verbraucher müsse daher sein Versprechen einlösen, für mehr Tierwohl auch mehr an der Ladentheke zu bezahlen. Denn in der aktuellen Situation würden laut einer Studie aus Göttingen die hohen Anforderungen der Gesellschaft an das Tierwohl den Strukturwandel beschleunigen.

Grundsätzlich sei die Veränderungsbereitschaft von Seiten der Landwirte gegeben. Grundvoraussetzung für die Machbarkeit sei allerdings die Miteinbeziehung der Landwirte als ein Teil der Lösung des Problems. Vorschnelle Beschlüsse und die damit einhergehende Verlagerung der Produktion ins Ausland seien nicht im Sinne des Verbrauchers und der Landwirtschaft.

Für eine nachhaltige Verbesserung des Tierwohls in Deutschland sei die Entwicklung einer Nutztierstrategie entlang der gesamten Wertschöpfungskette essentiell. Dazu gehöre auch die Lösung von Zielkonflikten wie zum Beispiel Tierwohl versus Baurecht oder Tierwohl versus Umweltschutz.

Autor: Dominik Schlothauer Junge DLG/Team Nürtingen